Das von Lukian im 2. christlichen Jahrhundert begründete Genre der „Totengespräche“ gehört schon seit der Antike zu den literarischen Meisterdisziplinen, ermöglicht es doch die Verbindung tiefsinniger gesellschaftskritischer Reflexionen mit einem von vornherein „surrealistischen“ und komödiantischen Stil des Erzählens. Máirtín Ó Cadhain, geboren 1906, gestorben 1970 adaptierte diese literarische Tradition in seinem auf Gälisch (Irisch) verfassten Meisterwerk „Grabgeflüster“, dessen Schauplatz die Unterwelt eines ländlichen Friedhofs im Westen Irlands mit den dazugehörigen Heerscharen das oberirdische Geschehen debattierender Leichen ist. In der Verbindung von Existenzialismus und unbändigen Sprachspiel erweist sich sein bereits 1948 erschienener, erst jetzt (in kongenialer Übersetzung von Gabriele Haefs) auf Deutsch vorliegender 400 Seiten dicker Roman als ein Klassiker der … > Weiterlesen
Kategorie: Bücher
Hugh Aldersey-Williams gehört zu jener Garde britischer Naturwissenschaftler, die es meisterhaft verstehen, ein reiches Material an Daten und Fakten in Form spannender, allgemein verständlicher und stilistisch brillanter Erzählungen darzubieten. Nach erfolgreichen Büchern über das „Leben“ der chemischen Elemente und die Anatomie des menschlichen Körpers hat er sein neuestes Werk den Gezeiten sowie der Geschichte ihrer Erkenntnis und Beschreibung gewidmet. Dabei gelingt ihm der Spagat, das hochkomplexe und erst in allerjüngster Zeit einigermaßen wissenschaftlich erfasste Naturphänomen von Ebbe und Flut einerseits für den Laien verständlich zu beschreiben und anderseits die Fülle poetischer und metaphorischer Erzählungen vor Augen zu stellen, die das Nachdenken darüber seit der Antike begleiten. So biss sich schon … > Weiterlesen
Das Norman-Areal
Der Held und Ich-Erzähler dieses Romans, ein gewisser John Richard Norman, seines Zeichens einer der wichtigsten norwegischen Verlagslektoren, leidet mit einem Mal unter unstillbarem Brechreiz, sobald er auch nur ein Manuskript in die Hände nimmt. Er entschließt sich zu einer Auszeit, die er auf einer kleinen Insel im Oslofjord verbringt. Dort begegnet er der faszinierenden Ingrid, mit der ihn eine heftige Liebe auf den ersten Blick verbindet. Doch die sich entspinnende Liebesgeschichte steht auf psychisch unsicherem Boden: Schon vor Jahren hat der Neurologe Dr. Lumholtz bei der Behandlung des Helden nach einem Verkehrsunfall eine originäre Merkwürdigkeit an dessen Gehirn bemerkt: eben jenes „Norman-Areal“, das dem Buch den Titel gibt und … > Weiterlesen
Die Ebenen
Der 1939 geborene australische Schriftsteller Gerald Murnane, der sein Heimatland zeitlebens nicht verlassen hat, ist in der internationalen englischsprachigen Literatur eine anerkannte Größe und wird schon seit geraumer Zeit als Anwärter auf den Nobelpreis gehandelt. Umso verwunderlicher ist, dass es nicht eines seiner Werke in deutscher Übersetzung gab, ehe in diesem Jahr sein 1982 veröffentlichter Roman „The Plains“ („Die Ebenen“) im Suhrkamp Verlag erschien. Darin zeigt sich Murnane als ein „magischer Realist“ ganz eigener Sorte: Er entdeckt die imaginären „Grasinseln“ im Innersten des Kontinents Australien, deren legendenumwobene Bewohner – die „Plainsleute“ – in etwa das Gegenteil eines westlich-europäisch geprägten Küstenaustraliers sind. Der Ich-Erzähler des Buches, ein ehrgeiziger junger Filmemacher reist … > Weiterlesen
Himmerlandsvolk
Der dänische Schriftsteller Johannes V. Jensen (1873-1950), Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1944, wurde im jütländischen Himmerland als Sohn eines Tierarztes geboren. Die dörfliche Welt seiner Kindheit und ihre typischen Protagonisten hat er in seinem 1898 erschienenen Erzählband „Himmerlandsvolk“ verewigt, der jetzt im Berliner Guggolz-Verlag erstmals in vollständiger deutscher Übersetzung erschienen ist. Dem 25-jährigen Autor gelang mit diesem Erstlingswerk der Durchbruch als anerkannter Schriftsteller und er ließ ihm bis in die 1920er Jahre weitere Bände mit „Himmerlandsgeschichten“ folgen. Das harte Leben auf dem Lande, seine tragischen Helden und tragkkomischen Pointen, die Jensen in präziser und bis heute anrührender Sprache vorführt (nicht zuletzt dank der gleichermaßen einfühlsamen wie schnörkellos zeitgemäßen Übersetzung von Ulrich … > Weiterlesen
Bin ein Schreiberling
Spätestens seit seinem als Stipendiat in Lohme fertiggestellten, 2010 erschienenen Bestseller Rabenliebe und dem Gewinn des Ingeborg-Bachmann-Preises im selben Jahr ist der Schriftsteller Peter Wawerzinek kein Geheimtipp mehr. Wie alle Bücher des in verschiedenen Kinderheimen an der Ostsee aufgewachsenen, seit Ende der 1970er Jahre in Berlin lebenden Autors ist auch sein jüngst im Berliner Transit-Verlag neu erschienener Band Bin eine Schreiberling deutlich autobiographisch geprägt. Beim Resümee seiner vielgestaltigen Schreiberfahrungen spielt nicht nur die Ostseeküste mit der Insel Rügen ein weiteres Mal ihre Rolle: Auch Irland und Island hat Wawerzinek eigene Kapitel gewidmet.… > Weiterlesen
Tauchgang ins Totenreich
Florian Huber, der Autor des bei Rowohlt erschienenen Buches Tauchgang ins Totenreich, arbeitet als Unterwasserarchäologe am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel. Seine Tauchgänge führten ihn u.a. in von der Maya-Kultur benutzte, heute überflutete Kalksteinhöhlen auf der Halbinsel Yucatán, zum Wrack eines im 16. Jahrhundert vor der schwedischen Küste gesunkenen Schlachtschiffes und zu einem vor Helgoland gesunkenen deutschen U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg. Sein jetzt erschienenes reich bebildertes Buch gibt Einblick in seine aufregende Tätigkeit.… > Weiterlesen
Die Polarfahrt
Der amerikanische Historiker, Schriftsteller und Journalist Hampton Sides erzählt in seinem Buch Die Polarfahrt die Geschichte der 1879 unternommenen und tragisch gescheiterten Polarexpedition von George W. DeLong mit dem amerikanischen Hochseeschiff Jeanette, das nordwestlich der Wrangelinsel im Packeis steckenblieb, im Polarmeer nach Norden triftete und schließlich unterging. In den USA wurde die dramatisch erzählte Geschichte über menschliche Hybris, mediale Sensationsgier und den mehrjährigen Überlebenskampf der Besatzung – zuerst an Bord und später zu Fuß auf dem Eis – zum Bestseller. Jetzt liegt im mare-Verlag die deutsche Übersetzung vor.… > Weiterlesen
Kubanischer Herbst
Mit den Mitteln des Comic setzen die dänischen Autoren und Comic-Zeichner Morten Hessendahl und Henrik Rehr einen deutlichen Akzent in der aus Anlass des 50. Todestages von Che Guevara boomenden Erinnerungsliteratur. Die Helden ihres Buches Kubanischer Herbst sind diverse mit Che Guevara verschworene linke Intellektuelle, die den selbsternannten Weltrevolutionär von Kuba bis nach Bolivien und über seinen Tod hinaus die Treue halten, darunter der dänische Journalist Jan Stage, der spätere italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli, der französische Philosoph Regis Debray und Monika Ertl, die mutmaßliche Rächerin Che’s, die 1971 den bolivianischen Polizeioberst Roberto Quintanilla in Hamburg mit einer von Feltrinelli beschafften Pistole erschossen hat.… > Weiterlesen
Lenins Zug
Die britische Historikerin Catherine Merridale hat sich schon seit Jahren mit fundierten Büchern zur russischen und sowjetischen Geschichte im 20. Jahrhundert hervorgetan. Ihrem pünktlich zum 100. Jahrestag der Revolution von 1917 bei S. Fischer erschienenen Band Lenins Zug ist allerdings nichts fremder als professorale Gelehrsamkeit. Vielmehr hat sich die Autorin dafür selbst auf die Zugreise von Zürich über Sassnitz nach St. Petersburg gemacht und Lenins konspirative, en detail mit deutschen Behörden abgestimmte Fahrt in denselben Etappen und an denselben Frühlingstagen nachvollzogen. Das daraus erwachsene Buch besticht gleichermaßen durch die persönlichen Beobachtungen und Reflexionen wie durch die Fülle des darin eingegangenen Recherchematerials, den unterhaltsamen Schreibstil und das vom russischen Konstruktivismus der … > Weiterlesen