Der rumänische Schriftsteller Mircea Cartarescu wird unter Literaturliebhabern schon seit seinem 2019 erschienenen Roman Solenoid als heißer Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt. Mit seinem neuen, knapp 700 Seiten starken Roman Theodoros hat er diesen Anspruch untermauert, auch wenn sein jüngstes Meisterwerk aufgrund seines „barocken“ und „unzeitgemäßen“ Sprachzaubers im Feuilleton nicht unumstritten geblieben ist – was aus unserer Sicht eher auf Schwächen aktueller Feuilletonisten als des Romans und seines Autors schließen lässt. Gerade angesichts der allzu oft kopflastigen und wenig originellen Prosa, mit der uns deutsche Verlage in diesen Tagen der großen Literatur entwöhnen, wirkt die Cartarescu-Lektüre wie der Sprung in andere, unendlich reichhaltigere und aus zeitlosen Inspirationsquellen hervorsprudelnde Welten, in … > Weiterlesen
Kategorie: Belletristik
„Das Wesen des Lebens“ ist das fulminante Romandebüt der finnischen Literaturwissenschaftlerin und Wissenschaftshistorikerin Iida Turpeinen. Das Buch wurde bzw. wird derzeit in knapp 30 Sprachen übersetzt. Seine außergewöhnliche Heldin ist die ausgestorbene „Stellersche Riesenseekuh“, deren massigem Skelett man bis heute in einigen Naturhistorischen Museen Europas begegnen kann, u.a. in Helsinki, wo es die Autorin zu ihrem Roman inspiriert hat. Ausgangspunkt des Textes ist die „Zweite Nordische Expedition“ von Vitus Bering, die in erster Linie der Suche nach einem nördlichen Seeweg vom Pazifik in den Atlantik gewidmet gewesen ist und während der Bering im Dezember 1741 auf der darauf nach ihm benannten Bering-Insel starb. Mitglied der vom russischen Zaren beauftragten Expedition … > Weiterlesen
Das Gedächtnis des Vergessens
Heiner Bastian, geboren 1942 in Ostpreußen sowie zwischenzeitlich in Afrika und San Francisco zuhause, ist schon seit den späten 1960er Jahren als Lyriker, Übersetzer, Sachbuchautor, Kunstsammler und Kurator bekannt. In seinem im Insel Verlag erschienenen neuen Gedichtband Das Gedächtnis des Vergessens führt er einerseits einen fiktiven Dialog mit Autoren und Avantgarde-Künstlern, die seinen eigenen Werdegang geprägt und begleitet haben. Zugleich lässt er sich von landschaftlichen Eindrücken seiner Reisen inspirieren, insbesondere vom Meer, der mediterranen Landschaft und Aufenthalten auf griechische Inseln. Dabei entstehen leicht zu lesende, eher erfühlt als erdacht wirkende Strophen, die etwas von Liedern haben, die dem Leser von anderen Ufern der Meere herübertönen.… > Weiterlesen
Die Insel des kleinen Gottes
Der nimmermüde Übersetzer und Schriftsteller Alexander Pechmann hat seinen Lesern auch in dieser Saison – neben der Neuübersetzung des voluminösen Romans Das Geheimnis der See von Bram Stoker (Mare Verlag) – ein eigenes Buch mit Inselthema und Gruseleffekten beschert, das bei Steidl erschienen ist. Die Handlung ist auf der Insel Block Island im Long Island Sund angesiedelt, die von den vormals dort lebenden Indianern die „Insel des kleinen Gottes“ genannt wurde und in der Mitte des 18. Jahrhunderts als Zielpunkt von in Rotterdam abgehenden Schiffen mit deutschen und holländischen Auswanderern fungiert hat. Der Held des Buches, ein Kartograph namens David van Roon, wird dort Zeuge des Schiffbruchs der „Princess … > Weiterlesen
Ninon, eine vormalige Concierge aus Paris, hat sich dafür entschieden, ihren Ruhestand in einem Schiffscontainer zu verbringen, wo ihr von einem obskuren Spekulanten namens LeRoy gegen Verzicht auf ihre knappe Rente Aufenthalt und Verköstigung zugesichert sind. Die französische Autorin Magali Desclozeaux nimmt diesen Plot als Ausgangspunkt für einen außergewöhnlichen Briefroman, der neben dem Schicksal der wackeren Concierge auch dasjenige des globalen Neoliberalismus und seiner unmenschlichen Auswüchse mit viel Humor aufs Korn nimmt. Die Probleme und mit diesen die Romanhandlung beginnen, als die Heldin vom Dasein im Frachtcontainer genug hat und den obskuren Dienstleister zu kontaktieren sucht, dem sie sich mit dem Leibrentenvertrag leichtfertig ausgeliefert hat – vergeblich. Als sie im … > Weiterlesen
Jón Kalman Stefánsson ist Freunden isländischer Literatur durch seine Romane Etwas von der Größe des Universums, Astas Geschichte und Dein Fortsein ist Finsternis bekannt. Unterdessen gilt der vormalige Maurer, Arbeiter in der Fischindustrie und Polizist als einer der Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Mit seinem neuen, deutlich autobiographischen Roman Mein Gelbes U-Boot nimmt er auf den Beatles-Song Yellow Submarine Bezug und zaubert daraus eine Parabel auf Leben und Vergänglichkeit sowie Literatur und Phantasie hervor (was der Buchumschlag der deutschen Ausgabe recht witzig mit der Abbildung eines gelben Trabants reflektiert). Was im Lied der Beatles der alte U-Boot-Fahrer ist in Stefánssons Roman der greise Paul McCartney, den der Ich-Erzähler, ein „isländischer Schriftsteller“ … > Weiterlesen
Ein klarer Tag
Die aus Wales gebürtige, heute in Schottland lebende Autorin Carys Davies gilt als Meisterin eines mystischen und zugleich sprachlich anspruchsvollen Romanstils. Ihren neuen Roman Ein klarer Tag hat sie auf eine entlegene Shetland-Insel und in das Jahr 1843 verlegt. Auf diese wird der in Geldnot geratene Pfarrer John Ferguson geschickt, um im Auftrag des Besitzers einen dort verbliebenen letzten Einwohner weg von der Insel und nach Aberdeen zu bringen. Die Geschichte knüpft damit an die berüchtigten „Clearances“ an, in deren Verlauf ein Großteil der Einwohner der schottischen Highlandes aus ihrer Heimat vertrieben wurde, um Raum für gewinnträchtige Schafweiden zu schaffen. Die psychologische Spannung, die der Roman von Anfang an beim … > Weiterlesen
Die französische Schriftstellerin Véronique Ovaldé hat mit Wütendes Mädchen auf einer Steinbank einen sprachlich und stilistisch beeindruckenden und nicht weniger spannenden Roman vorgelegt, der in einer Grauzone zwischen Familiengeschichte, Psychothriller und Kriminalroman changiert. Auf einer Insel vor der Küste Siziliens wachsen vier Schwestern miteinander auf, bis es zu einer mysteriösen Tragödie kommt. Das mit sechs Jahren jüngste der Mädchen verschwindet spurlos, nachdem es seine Schwester Aida erpresst hat, es mit zur Karnevalsfeier zu nehmen. Aida, die ohne Wissen der Eltern auf die Feier gegangen war, wird die Schuld am mysteriösen Verschwinden der Schwester gegeben und sie muss diese in ihrem weiteren Leben tragen. Als sie fünfzehn Jahre später anlässlich der … > Weiterlesen
Das große Spiel
Der neue Roman des mehrfach preisgekrönten US-amerikanischen Romanciers Richard Powers ist ein weiteres Mal durch dessen Vorliebe für naturwissenschaftliche Themata charakterisiert. In gewisser Weise geht es darin um alles, was in aktuellen Debatten über künstliche Intelligenz und ökologischen Notstand eine Rolle spielt, aber auch um die von der heutigen Meeresbiologie und ihren Beobachtungsapparaturen zutage geförderten Erkenntnisse über das Leben im Ozean und die Intelligenz von Meerestieren. Als verbindendes Element, das die verschiedenen Stränge des Romans zusammenführt, fungiert neben der Metapher des „Spiels“ – der Originaltitel lautet Playground – eine Koralleninsel in der Südsee, in deren Nähe ein Konsortium potenter Investoren fernab von jedem staatlichen Zugriff eine schwimmende Stadt erreichten will. … > Weiterlesen
Nach Eden
In dem neuen, Nach Eden betitelten Gedichtband der Lyrikerin und engagierten Lyrik-Verlegerin Daniela Seel spielt das Meer gleichermaßen als Sphäre poetischer Inspiration wie als Sinnbild für die massive Gefährdung der natürlichen Umwelt in der Gegenwart eine Rolle. „Tiefseegärten“ und diese heimsuchende Mikroplastik liegen – ganz wie in der landschaftlichen Realität – eng beieinander. Auch der darauf blickende Mensch verdoppelt sich in den Gestalten des von der Natur angerufenen Sängers und der „invasivsten Art“. Zugleich unternimmt die Autorin mit ihrem Langgedicht den Versuch, die vermeintliche Vertreibung des Menschen aus dem einstigen Paradies und die damit verbundene Entscheidung für das Geborenwerden und Sterben aus der Perspektive Evas zu denken und derart poetisch … > Weiterlesen