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Zum 50. Todestag von Mascha Kaléko am 21. Januar

Zum 50. Todestag der deutsch-jüdischen Dichterin Mascha Kaléko hat der Deutschlandfunk Kultur eine aus Anlass ihres 100. Geburtstages 2007 produzierte Lange Nacht wiederholt, die auf der Seite des Deutschlandfunks nachgehört werden kann: https://www.deutschlandfunkkultur.de/lange-nacht-102.html

Die Sendung bringt in drei Stunden eine Fülle von Gedichten Kalékos zu Gehör und erlaubt es derart, in deren lyrisches Werk nicht nur einzutauchen, sondern es geradezu genüsslich zu durchmessen. Die einzigartige Fähigkeit der Autorin, Alltag und Alltagssprache mit Ausdruck und Tonalität der avanciertesten deutschen Poesie zu verbinden, lassen ihre Gedichte als zeitlose Dokumente – sowohl der modernen Welt als auch der Potenziale deutscher Hochsprache – erscheinen. Kalékos Poesie ist von den Werken Heines und Rilkes ebenso unverkennbar wie von Zeitgenossen à la Kästner, Tucholsky und Ringelnatz inspiriert. Die Art und Weise, wie sie Hoch- und Popkultur scheinbar mühelos vereint, wirkt bis auf den heutigen Tag rätselhaft und bezaubernd. Die aktuellen Auflagen von Kalékos Gedichtbänden in Deutschland werden angeblich nur von Goethe übertroffen. Zum 50. Todestag sind ihre bei Rowohlt publizierten Gedichtbände neu erschienen, zudem bei DTV ein von Daniel Kehlmann herausgegebener Sammelband unter dem Titel Ich tat die Augen auf und sah das Helle, der nach Ende unserer Urlaubspause auch in Dahlmanns Bazar angesehen und erworben werden kann.

1907 als Tochter eines russischen Kaufmanns und seiner österreichischen Frau in eine jüdische Familie Galiziens geboren, kam Kaléko schon als Kind mit ihrer Familie nach Berlin, was ihr Weltbild und ihre literarische Sprache geprägt hat. 1938 emigrierte sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn in die USA, seit 1960 lebte sie in Jerusalem, ließ sich aber bei mehreren längeren Aufenthalten in Berlin auch von den Räumen ihrer Kindheit neuerlich inspirieren. Den schönsten Nachruf hat sie sich selbst geschrieben:

Nach meinem Tode (Trauer streng verboten)
Verlass ich diesen elenden Planeten.
Wenn Plato recht hat – Plato ist mein Mann –:
Erst wenn man tot ist, fängt das Leben an.

Kapitel Eins beginnt mit dem Begräbnis,
Der Seele letztes irdisches Erlebnis.
Auf meines freue ich mich heute schon!
Da gibt es keine Trauerprozession.

Kein Lorbeerkranz vom Bund der Belletristen:
Kein Kunstverein hat mich in seinen Listen,
Kein Dichterzirkel… Sagen wir es schlicht:
Gesellig war die sanft Entschlafene nicht.

Der Redakteur, den sie einst tödlich kränkte,
Als er sein Mäntlein nach dem Winde hängte,
Hat ihren Nachruf lange schon gesetzt.
Der schließt: „M. K. war reichlich überschätzt.“

Diverse Damen, deren Herren Gatten
Zuzeiten eine Schwäche für mich hatten,
Die werden selbst im Regen Schlange stehen,
Um mich auch wirklich mausetot zu sehen.

Die strengen Richter meiner wilden Jugend
Entdecken der Verstorbnen edle Tugend…
und eingedenk der menschlichen Misere
vergießt so mancher eine Anstandszähre.

Den wahren Freunden – ach, sie sind zu zählen! –
Werd ich vielleicht zuweilen etwas fehlen.
Moral: Was euch im Leben zu mir zog,
Hebt es nicht auf für einen Nekrolog!…