Die in Berlin lebende japanische Schriftstellerin Yoko Tawada hat einen postapokalyptischen Inselroman geschrieben, der in einem von der übrigen Welt vollkommen abgeschnittenen Japan spielt, wo fast alle Tiere ausgestorben, die Pflanzen mutiert, die Böden vergiftet sind und die Neugeborenen mit unheilbaren Krankheiten zur Welt kommen. Indes erschließt sich dem Leser die ganze Katastrophe erst nach und nach bei der Lektüre, denn tatsächlich geht das gesellschaftliche Leben danach weiter, wenn auch in Gestalt surrealer Szenarien: Die Regierung wurde irgendwann „privatisiert“, die vormaligen Polizeitruppen ziehen als Blaskapellen durch die Straßen, über die in den Städten klaffenden Abgründe wurden Glasplatten verlegt und in den Buchhandlungen werden von Dichtern gefertigte Messer angeboten. Auch uralte Selbstverständlichkeiten der menschlichen Befindlichkeit ändern sich: Männer kommen plötzlich in die „Wechseljahre“, in einigen Gegenden wechseln die Menschen im Lauf ihres Lebens sogar mehrfach ihr Geschlecht.
Was für eine Art Katastrophe genau sich ereignet hat, erfährt der Leser dieser poetisch und leise erzählten Geschichte nicht, aber er beginnt allmählich zu ahnen, dass eine ganz ähnliche auch in seiner eigenen aktuellen Welt geschehen sein könnte. Zudem zeigt sich mehr und mehr, dass der Roman auch eine Parabel über die menschliche Sprache ist. Den Zusammenhang zur Gegenwart des Lesers stiften die Figur des mehr als hundert Jahre alten Dichters Yoshiro und dessen an seinen Urenkel Mumey gerichtete Erzählungen. Da die Mutter des frühgeborenen und schwer behinderten Kindes kurz nach der Geburt gestorben und der Vater, Yoshiros Enkel, getrieben von einer rätselhaften Sucht verschollen ist, hat es Yoshiro übernommen, den kleinen Mumey großzuziehen. Als Jugendlicher wird dieser schließlich von seinem Lehrer für die Mission eines „Sendboten“ auserwählt, um in heimlichen Kontakt zur übrigen, jenseits von Japan liegenden Welt zu treten.