Der italienische Autor Paolo Giordano wurde durch seinen Bestseller Die Einsamkeit der Primzahlen bekannt, mit dem er 2008 debütierte und für den er ad hoc den renommierten Premio Strega erhielt. Ein interessanter Aspekt seiner Biographie besteht darin, dass er promovierter Teilchenphysiker ist, entsprechend spielen naturwissenschaftliche Themen wie auch die Persönlichkeiten von Wissenschaftlern in seinen Werken eine wesentliche Rolle. Dass er diese sprachlich gewandt und genuin literarisch darzubieten vermag, macht das Erfolgsgeheimnis seiner Bücher aus. Das Thema seines neuen Romans ist – ganz allgemein gesprochen – die in zahlreichen Facetten von Umweltzerstörung über Terroranschläge und seltsame Viren bis hin zu eskalierenden Kriegen drohende Apokalypse – mit einem Zitat aus dem Roman selbst: das „Kassandra-Syndrom“. Die Herausforderung, der sich der Autor stellt, liegt darin, dass es sich dabei um exakt die Themen handelt, die in Tagespresse und sozialen Medien tagtäglich befeuert und heruntergebetet werden. Inwieweit Giordano die Thematik tatsächlich aus diesem Feld hinaus und auf die Ebene bleibender Literatur hebt, darüber lässt sich streiten – der ambitionierte Versuch ist aus unserer Sicht jedoch eine Empfehlung wert. Indem Giordano das Thema mit psychologisch feinfühligen Schilderungen des Alltags seiner Helden verbindet und auf deren Scheitern auf den Feldern von Liebe und Familie kurzschließt, erschafft er einen literarischen Kosmos, der nicht nur die Lust am Lesen wachhält, sondern auch neuartige und wechselnde Perspektiven auf die Thematik produziert. Das die Helden begleitende Gefühl der Desorientiertheit greift unmittelbar auf den Leser über. Die eingeschalteten Exkurse über komplexe Phänomene wie das der Wolkenbildung, aber auch die wiederholte mahnende Rückkunft auf den Bau der Atombombe und die Verheerungen von Hiroshima und Nagasaki heben Giordanos Kassandra-Blick deutlich über die unreflektierte Betroffenheitsprosa in den aktuellen Leitmedien hinaus. Sein Roman bohrt sich vielmehr in die seelischen Verfassung jener, die diese apokalyptischen Diskurse Tag für Tag reproduzieren. Diverse Inseln, nicht zuletzt das im Titel stehende „Tasmanien“, fungieren vor dem Hintergrund solcher Szenarien als letzte denkbare Fluchtorte – quasi „Möglichkeiten von Inseln“, wie es der Franzose Michel Houellebecq in einem seiner großartigen Romane nennt.
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