Unter dem Titel Sonne und Stahl hat der Mitteldeutsche Verlag einen autobiographischen Essay des japanischen Autors Yukio Mishima aus dem Jahr 1968 in deutscher Übersetzung vorgelegt, der vor dem Hintergrund aktueller Debatten einige Sprengkraft in sich trägt. Womöglich hat es mit der daraus resultierenden Verunsicherung zu tun, das die Neuerscheinung vom deutschen Feuilleton bis dato geflissentlich ignoriert worden ist, obwohl ihr Autor einer der bedeutendsten und meistübersetzten japanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist. Berühmt geworden vor allem durch seinen Roman Bekenntnisse einer Maske galt Yukio Mishima lange als Japans heißester Nobelpreiskandidat, ehe er 1970 auf ganz unvermutete Art und Weise, erst als kaisertreuer Putschist und dann mit seinem rituellen Selbstmord in Erscheinung trat. Sein zwei Jahre zuvor publizierter Essay, der nunmehr auf Deutsch zu lesen ist, propagiert in etwa das genaue Gegenteil dessen, was aktuell über Gender und Geschlechterrollen zu hören und zu lesen ist: eine am Männlichkeitskult der Samurai und der traditionellen japanischen Kultur orientierte Verklärung von männlicher Kraft, Disziplin und Kampfkunst in Zeiten der von der Moderne entfesselten Maschinenwelt. Die Art und Weise, wie Mishima philosophische Fragestellungen und spirituelle Erfahrungen mit dem Blick auf den eigenen – männlichen – Körper verschränkt, ist in der westlichen Kultur, soweit wir sehen, ohne Entsprechung und hat auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen das Potenzial zur erheblichen Verunsicherung hiesiger Leser.
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