Es geschieht nicht häufig, dass ein 69-Jähriger auf der Bühne des Literaturbetriebs debütiert. So geschehen im Fall der im Berliner Elfenbein-Verlag erschienenen Erzählung Halbmondzeit von Michael Schroeder. Hinzuzufügen ist freilich, dass dem Autor als gestandenem Historiker und Altphilologen die literarische Bühne nicht ganz fremd gewesen ist. Er trat u.a. als Autor einer Biographie der Sappho von Lesbos, „Europas erster Dichterin“, in Erscheinung und übersetzte Gedichte des bedeutenden griechischen Lyrikers Konstantinos Kavafis (1863-1933). Überdies führten ihn zahlreiche Forschungsreisen in den Mittelmeerraum von Süditalien über Griechenland und die Schwarzmeerländer bis in den Nahen Osten. Die daraus resultierende Vertrautheit mit mediterraner Landschaft, Kultur und Literatur ist seinem nun vorliegenden Buch deutlich anzumerken – ja bildet gewissermaßen die imaginäre Substanz, aus der es geschöpft ist und in der sich verschiedene Küsten und Inseln sowie reale und literarische Schauplätze verweben. Handelnde Figuren sind dabei u.a. der von Paul Klee und Walter Benjamin bekannte „Engel der Geschichte“, der mythische Adonis, die als moderne Frau auftretende Sappho sowie ein Herr Konstantinos, der an den Dichter Kavafis denken lässt. Ein Stapel angeschwemmter orange-farbener Schwimmwesten holt auch die aktuelle Perspektive auf das Mittelmeer als Schauplatz einer scheiternden Flüchtlingspolitik mit ins Bild. Wenn man so will ist Schroeders Erzählung eine Liebeserklärung an die Literatur als solche, die es möglich macht, dass Autoren und Leser über Jahrtausende hinweg miteinander korrespondieren, sich gegenseitig bereichern, Meere, Gebirge und Wüsten und nicht zuletzt die Grenzen ins Reich der Träume und des Imaginären überwinden.
Kategorien