„Das Wesen des Lebens“ ist das fulminante Romandebüt der finnischen Literaturwissenschaftlerin und Wissenschaftshistorikerin Iida Turpeinen. Das Buch wurde bzw. wird derzeit in knapp 30 Sprachen übersetzt. Seine außergewöhnliche Heldin ist die ausgestorbene „Stellersche Riesenseekuh“, deren massigem Skelett man bis heute in einigen Naturhistorischen Museen Europas begegnen kann, u.a. in Helsinki, wo es die Autorin zu ihrem Roman inspiriert hat. Ausgangspunkt des Textes ist die „Zweite Nordische Expedition“ von Vitus Bering, die in erster Linie der Suche nach einem nördlichen Seeweg vom Pazifik in den Atlantik gewidmet gewesen ist und während der Bering im Dezember 1741 auf der darauf nach ihm benannten Bering-Insel starb. Mitglied der vom russischen Zaren beauftragten Expedition war auch der deutsche Naturforscher, Theologe und Arzt Georg Wilhelm Steller, der im Verlauf der Reise Hunderte Tier- und Pflanzenarten dokumentierte und als einziger europäischer Wissenschaftler jemals die nach ihm benannte Seekuh lebend sah. Deren Schicksal sollte sich als nicht weniger tragisch erweisen als das zahlreicher Expeditionen, die im 18. Jahrhundert nach der legendären nördlichen Schiffspassage suchten. Nachdem sie den überlebenden Seeleuten der Bering-Expedition mit ihrem reichhaltigen und zarten Fleisch als rettende Nahrungsquelle gedient hatte, wurden die seltenen Tiere in den folgenden Jahren Opfer von nachkommenden Pelztierjägern und 1768, nur 27 Jahre nach Stellers Ankunft, offenbar das letzte lebende Exemplar verzehrt.
Turpeinens Roman greift indes nicht nur diese hochspannende Episode der Wissenschaftsgeschichte auf, an der sich die Verzahnung der positivistischen Naturwissenschaft mit der Zerstörung der natürlichen Umwelt exemplarisch zeigt. Nach Stellers Tod und dem Aussterben der Riesenseekuh geht es weiter: So wird etwa die Geschichte des in Helsinki aufbewahrten Skeletts erzählt, das hundert Jahre nach Stellers Expedition auf Betreiben des Zoologen Alexander von Nordmann (Namensgeber der heute als Weihnachtsbaum beliebten Nordmann-Tanne) und mit der Hilfe kundiger Inuit aus Alaska nach Finnland kam, ebenso die der jungen Zeichnerin Hilda Olson, die Nordmanns Publikationen zu jener Zeit illustriert. Nicht zuletzt geht es auch um das vom Menschen in Gang gesetzte Artensterben und das ebenfalls seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wachsende Bewusstsein dafür. Dass Turpeinen nicht nur all diese Geschichten mit feinem Gefühl verbindet, sondern zudem die präzise Wissenschaftssprache in der Tradition von Georg Wilhelm Steller mit einem postmodern lakonischen Prosastil ist in der Tat eine literarische Meisterleistung und hat die derzeitige internationale Beachtung redlich verdient.
- Verlag:
- S. Fischer
- Einband:
- gebunden
- Seitenzahl:
- 320
- Preis:
- 24,00