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Belletristik

Das Philosophenschiff

Michael Köhlmeier

Der österreichische Autor Michael Köhlmeier, geboren 1949, wurde dem literarischen Publikum vor allem durch seine mitreißenden Nacherzählungen antiker und mittelalterlicher Sagen und Mythen bekannt. Darüber hinaus kann er auf ein immenses literarisches Werk verweisen, das Romane, Hörspiele und essayistische Beiträge umfasst. Wie so oft in seinem Werk spielt er auch in seinem neuesten Roman mit den Grauzonen zwischen Fiktion und Wirklichkeit sowie Autorschaft und Heldenrolle. Der Ich-Erzähler ist ein unverkennbares Double des Autors selbst, der durch die Begegnung mit einer in Russland geborenen, im Alter von 14-Jahren mit ihrer Familie deportierten, inzwischen 100-jährigen Wiener Architektin zum Chronisten eines unglaublichen Ereignisses aus dem Jahr 1922 wird.

Die Geschichte, die die ehrwürdige Dame dem verblüfften Autor im Verlauf mehrerer Zusammenkünfte diktiert, spielt auf einem der sogenannten „Philosophenschiffe“, die es damals tatsächlich gegeben hat und die die Funktion hatten, widerständige Mitglieder der russischen Intelligenzja nach der Revolution außer Landes zu bringen. Während das Schiff mit der Familie der Erzählerin noch auf dem Finnischen Meerbusen vor der russischen Küste treibt, wird eine weitere Person an Bord gebracht. Als das neugierige Mädchen in der Folgezeit auf das verschlossene Deck mit dem blinden Passagier vordringt, trifft sie auf einen Mann im Rollstuhl, der sich als Lenin höchstpersönlich zu erkennen gibt. Dass Köhlmeier diesem nicht nur ein Resümee des eigenen Wirkens und Scheiterns, sondern auch des Sinns und Unsinns von Revolutionen im Allgemeinen in den Mund legt, ist die treibende Idee des Buches, über die sich freilich auch streiten lässt. Aber das ist noch nicht alles….