Der US-amerikanische Historiker und Soziologe Marcus Rediker ist spätestens durch sein Buch über Piraten und Freibeuter auch in Deutschland (zumindest eingeweihten Lesern) wohl bekannt. Jetzt hat der kleine Verlag Assoziation A eines seiner Hauptwerke in deutscher Übersetzung herausgebracht, das im amerikanischen Original bereits 2007 erschienen ist. Darin heißt es auf Seite 29: „Das Sklavenschiff ist ein Geisterschiff, das an den Rändern des modernen Bewusstseins segelt.“ Man könnte Redikers Buch eine Tiefenbohrung an den verdrängten Ursprüngen der Neuzeit nennen, denn tatsächlich laufen auf den von Westafrika nach Amerika segelnden Sklavenschiffen einige zentrale Entwicklungslinien zusammen, die die Etablierung des europäischen und schließlich globalen Kapitalismus bestimmt haben. Rediker untersucht all diese Elemente vom Zusammenspiel des Sklavenhandels in Westafrika mit dem europäischen Frühkapitalismus über die Rolle und soziale Herkunft der europäischen Seeleute bis zur Funktion der Schiffe als schwimmenden Fabriken und Gefängnissen. Was sein Buch über eine gelehrige „Geschichte“ hinaushebt und lesenswert macht ist die Verbindung der historischen Reflexionen mit einer Fülle authentischer Berichte über die Situation auf den Sklavenschiffen, etwa Tagebüchern, Logbüchern, Briefen, die Rediker zum großen Teil überhaupt erst erschlossen hat. Den stärksten Eindruck hinterlassen dabei jene Berichte, die von subversiven Aktivitäten der eingepferchten Sklaven handeln, mit denen sie sich den an ihnen vollzogenen Disziplinarmaßnahmen widersetzten: von der Informationsweitergabe durch Singen bis zum rituellen Selbstmord dank einer quasi schamanischen Körperbeherrschung.
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