Der britische Journalist und Autor Adam Nicholson hat schon seit seiner Kindheit eine Leidenschaft für Seevögel, die einzigen Tiere, die in drei Elementen – zu Wasser, zu Land und in der Luft – zuhause sind. Als Ursache dieser Begeisterung nennt er im Vorwort seines jetzt in der Verlagsbuchhandlung Liebeskind auf Deutsch erschienenen Buches das Vorbild seines Vaters, der ihn im Alter von acht Jahren mit zur Vogelbeobachtung auf die zu den Äußeren Hebriden gehörigen Shiant Islands genommen hat. Seitdem hat der inzwischen Mitte sechzigjährige Autor die Wege der Seevögel von den Archipelen im Norden und Westen Britanniens bis nach Neufundlund, Südgeorgien und die Falklandinseln verfolgt. In Der Ruf des Seevogels erkundet er, „wie die Seevögel es anstellen, die menschliche Vorstellungskraft in ihren Bann zu ziehen“. Dabei gelingt ihm eine Gratwanderung zwischen sensiblem Nature Writing und neusten technischen Errungenschaften – insbesondere der GPS-Technik – verdankten Forschungsergebnissen, dank der er dem Leser ungeahnte Einsichten in die Lebensweise diverser Meeresvögel vermittelt.
In Anlehnung an den amerikanischen Philosophen Thomas Berry nennt Nicholsen den Grenzbereich, den er mit seiner phänomenologischen Annäherung an Seevögel und deren Faszination im Blick hat, nicht „transzendent“, sondern vielmehr „inszendent“. Es handelt sich in seinem Verständnis um eine ozeanische Tiefe, die man nur, indem man in sie „hineinsteigt“, erkunden kann: Die Seevögel „sind Teil dessen, wonach wir uns sehnen: Schönheit am Rand des Verstehbaren…, Geschöpfe des Geistes, durchdrungen von Doppeldeutigkeit“. Zehn Arten sind in seinem Buch jeweils in sich abgeschlossene Kapitel gewidmet: Eissturmvogel, Papageientaucher, Dreizehenmöwe, Möwen, Lumme, Kormoran und Scharbe, Sturmtaucher, Tölpel, Alk und Albatros.
Nicht nur mit seinen Schilderungen der via GPS verfolgten, geradezu unglaublichen Routen einzelner Tiere vermag der Autor beim Leser für regelrechte literarische Hochspannung zu sorgen, auch seine Beobachtungen etwa zur Geruchswahrnehmung einzelner Arten, zu Jahrtausende alten, bis heute benutzten Nestern in Westgrönland sowie zum Zusammenhang von Intelligenz und Monogamie sind gleichermaßen informativ und emotional anrührend. Die bemerkenswerten Daten und Forschungsergebnisse werden durch zahlreiche Graphiken und Fotoabbildungen ergänzt. Schlussendlich ist sein Buch ein vehementes Plädoyer für ein ökologisches Bewusstsein, mit dem der Mensch in ein neues „Zeitalter der Empathie“ tritt.