Anthony Powell (1905–2000) gilt in Großbritannien als literarischer Großmeister, ist in Deutschland jedoch nach wie vor nur Eingeweihten bekannt. Sein Hauptwerk A Dance to the Music of Time, das seinen Titel dem gleichnamigen Gemälde des Barockmalers Nicolas Poussin verdankt und in unendlichen Anspielungen die historischen, politischen und ästhetischen Diskurse im England des 20. Jahrhunderts spiegelt, erschien zwischen 1951 und 1975 in 12 Bänden und ist von der Kritik seitdem immer wieder mit Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit verglichen worden. Dem Berliner Elfenbein-Verlag gebührt das Verdienst, das komplette Werk zwischen 2015 und 2018 erstmals vollständig in deutscher Übersetzung ediert zu haben. Seitdem hat sich der Verlag weitere, bisher unübersetzte Werke dieses vernachlässigten Meisters vorgenommen, zuletzt den 1932 erschienenen Roman Venusberg, der sich um die Reise eines englischen Korrespondenten in einen fiktiven Ostseeanrainerstaat dreht.
In der feinfühligen Übersetzung des mit Autor und Sprachstil vertrauten Literaturwissenschaftlers Heinz Feldmann klingt die literarische Tonlage der späten 1920er und beginnenden 1930er Jahre in ihrer Spannbreite von Neuer Sachlichkeit bis Surrealismus an, wie sie in der deutschen Literatur etwa Brecht, Döblin, Jünger, Benn und Robert Müller verkörpern. Man könnte in Anlehnung an Walter Benjamin auch von einem „postauratischen“ Erzählstil sprechen, der eher an den Ausdrucksmitteln des Feuilletons als den klassischen Romanen des 19. Jahrhunderts orientiert ist. Nicht zuletzt kommen dem Leser immer wieder Filmszenerien, etwa von Luis Buñuel, in den Sinn. Nichtsdestotrotz ist Powells lakonischem Schreibstil auch eine ordentliche Portion typisch „britischen Humors“ in seiner unvergleichlichen Mischung aus aristokratischer und selbstironischer Attitüde beigemischt. Die phantastische Reise, auf die er seine Leser vor dem politischen Hintergrund der Endzwanziger und beginnenden Dreißiger Jahre entführt, lässt die nahende politische Katastrophe ahnen. Darüberhinaus geht es irgendwie um alles, was in jenen unheimlichen Zeiten zu besprechen bzw. zu tun und zu lassen gewesen ist: von snobistischem Weltwissen über aktuelle Politik bis zu amorösen Affären. Zitat: „An diesem Ort … schien es leichter, Sinn und Bedeutung zu empfinden, obwohl es vielleicht keinen gab.“