Grazia Deledda, die 1926 den Literaturnobelpreis erhielt, stammt aus einer wohlhabenden sardischen Familie und wiewohl sie später in Rom lebte, kommt sie in ihren literarischen Werken immer wieder auf die Insel ihrer Herkunft zurück. Sowohl das Leben der Sarden zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als auch die Schicksale von Frauen, die sich in einer in Wandlung begriffenen, gleichwohl durch traditionelle Rollenvorstellungen geprägten Welt zu behaupten haben, nehmen darin einen renommierten Platz ein. Dass Deledda Mussolini seit seiner Machtergreifung 1925 offen unterstützt und geistig nahe gestanden hat, trug dazu bei, dass ihr Ruhm im Italien der Nachkriegszeit verblasste. Gerade im Zusammenhang des diesjährigen Auftritts Italiens als Gastland der Frankfurter Buchmesse fanden auch die Werke der nach Selma Lagerlöf zweiten Frau, die mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde, neue Beachtung. Der von Monika Lustig neu übersetzte Roman Blicke der Liebe und des Neids gehört zu den in Deutschland eher unbekannten, gleichwohl herausragenden Werken Deleddas. Eine aus einem Bergort im Norden Sardiniens stammende Frau unternimmt darin mit ihrem deutlich älteren Mann eine Hochzeitsreise in ein Seebad am Meer. Unter dem Eindruck der unbeherrschten Naturgewalten von Meer und Wind sowie der Begegnung mit ihrem früheren Geliebten liefert sie sich dort der inneren Zerrissenheit und den in ihr und den übrigen Protagonisten brodelnden Leidenschaften aus – mit katastrophalen Folgen.
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